Schlaflos in
BERLIN
Text | Lars Wiederhold Fotos | Christof Mattes
Schlaflos in
BERLIN
Text | Lars Wiederhold Fotos | Christof Mattes
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Es ist selten, dass Politik, Wissenschaft, Unternehmen und Mieterinitiativen zusammenkommen, um über die Wohnungsnot zu sprechen. Noch seltener passiert dies in einem kleinen Zelt hinter dem Berliner Hauptbahnhof. Dorthin haben wir eine bunt gemischte Gruppe von Diskutanten eingeladen. Die Runde erwartet eine lange Nacht. Klappstühle, Nachttische und Feldbetten stehen bereit.
Es ist selten, dass Politik, Wissenschaft, Unternehmen und Mieterinitiativen zusammenkommen, um über die Wohnungsnot zu sprechen. Noch seltener passiert dies in einem kleinen Zelt hinter dem Berliner Hauptbahnhof. Dorthin haben wir eine bunt gemischte Gruppe von Diskutanten eingeladen. Die Runde erwartet eine lange Nacht. Klappstühle, Nachttische und Feldbetten stehen bereit.
Ein Sommerabend in Berlin. Das Wetter kann sich nicht zwischen gewittriger Schwüle und unbehaglicher Kühle entscheiden. Wir sitzen eng gedrängt in einem Partyzelt um einen Pizzakarton herum, der wackelig auf einer Kühlbox liegt. Mein stumpfes Taschenmesser reißt die Pizza in Fetzen. Es gibt nur eine für alle. Bausenator Christian Gaebler und Immobilienprofessorin Marion Peyinghaus verzichten lieber. Wohninvestor Einar Skjerven und Projektentwickler Rainer Schäfer erheben sich von Feldbett und Klappstuhl und greifen zu. „Die ist ja eiskalt“, beschwert sich Schäfer, der Chef von Strabag Real Estate.
Prof. Marion Peyinghaus und Rainer Schäfer (Mitte) sind die ersten Gäste von Moderator Lars Wiederhold.
Zwei Stunden zuvor: Peyinghaus, Schäfer und ich haben uns in einem vier mal vier Meter großen Zelt auf einer Grünfläche an der Invalidenstraße direkt am Berliner Hauptbahnhof eingefunden. Hinter uns rauschen Autos, Busse und Straßenbahnen vorbei. Motoren heulen auf und Hupen tröten. Im Zelt ist oft kaum das eigene Wort zu verstehen. „Ich wusste nicht, ob es sich um einen Gag handelt oder um harte Arbeit, als die es sich jetzt entpuppt“, kommentiert Schäfer unsere Abendgestaltung und nimmt sich ein Bier aus der Kühlbox. Gemeinsam mit Peyinghaus sollen Schäfer und ich uns noch bis zum nächsten Morgen in diesem Zelt aufhalten und über die Wohnungsnot in Berlin sprechen.
„Wir haben ein Verteilungsproblem.“ - Marion Peyinghaus
Die Idee hinter dem Feldversuch ist, dass ein besonderer Schauplatz besondere Gespräche hervorbringt. Wer sich eine Nacht fast ungeschützt der Hauptstadt aussetzt, interagiert womöglich anders als in seiner Komfortzone. Deshalb ist auch die Auswahl der Camper nicht zufällig. Peyinghaus ist nebenbei Krimiautorin und Schäfer Präsident einer Karnevalsgesellschaft. Ein gewisses Out-of-the-Box-Denken ist von ihnen zu erhoffen. Über den Abend werden uns einige Gäste besuchen und ihre Impulse mitbringen.
Bürgersteig, Radwege, Straßenbahn und vierspurige Straße: Am Zelt wird es selten ruhig.
Aber erst einmal führen wir das Gespräch im kleinen Kreis. Das Umfeld liefert uns gleich Stoff für eine Debatte, denn Schäfer und Peyinghaus nehmen die Umgebung sehr unterschiedlich wahr. Schäfer hat kurz zuvor noch vom Coffee Fellows auf der anderen Straßenseite einen „wunderbaren Blick“ auf den Humboldthafen genossen. „Wenn man sich das hier etwas genauer anschaut, lässt sich schon sagen: So sollte es sein.“ Peyinghaus fallen dagegen im Quartier Missstände auf. „Da fehlt der Mensch. Hier wurde zu stark renditeorientiert gebaut.“ Es seien nur Quadratmeter gemacht, aber keine öffentlichen Räume geschaffen worden, in denen Menschen interagieren können.
In diesem Moment wird eine Passantin auf unser möbliertes Zelt aufmerksam. „Ist das ein Tiny House?“, fragt sie. Wir lachen, sie geht weiter. Schäfer wirft ein, dass die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf weiter gestiegen ist. „Die Bereitschaft, auf Wohnfläche zu verzichten, ist gering“, bestätigt Peyinghaus. Wie die Professorin untersucht hat, bewegen selbst deutlich gestiegene Energiekosten die Menschen nicht dazu, Abstriche bei der Fläche zu machen. „Wir haben kein Wohnraumproblem, sondern ein Verteilungsproblem“, stellt sie fest. Schäfer sieht in einer Neuverteilung ein „riesiges“ Potenzial, das sich ganz ohne Neubau biete. Um dafür einen Anreiz zu schaffen, schwebt ihm eine Steuer vor, die anfällt, wenn Menschen allein auf 200 Quadratmeter leben.
Marion Peyinghaus: „Da fehlt der Mensch.“
Bei unserem ersten Gast könnte ich mir gut vorstellen, dass er auf 200 Quadratmetern wohnt, denn gerade habe ich ihn mit einer großen Limousine vorfahren sehen. Wohninvestor Einar Skjerven steigt aus und setzt sich zu uns. „Sie sind aus Schweden, oder?“, fragt Schäfer sofort. „Norwegen, Vorsicht!“, gibt Skjerven ernst zurück. Und fügt lächelnd hinzu: „Nur Spaß.“ Er erzählt, dass er seit 2006 am Berliner Immobilienmarkt unterwegs ist und vor allem in Bestandsgebäude investiert.
„Damals war noch alles schön“, schwärmt er wehmütig. „Jetzt ist es schwer geworden.“ Wer für 2.000 Euro den Quadratmeter ein Grundstück kaufe und für weitere 2.300 Euro baue, könne nicht für 6 Euro vermieten, wie es die Politik wünsche. Auf die ist der Investor richtig sauer. „Niemand macht etwas.“
Vor den Wahlen werde immer viel über Wohnungsnot und Neubau geredet. „Danach ist es wieder still.“ Dabei hätte Skjerven so einige Ideen, was den Neubau vorantreiben könnte. Etwa, dass Bauzinsen generell von der Einkommensteuer abgesetzt werden könnten, um mehr Menschen ins Eigentum zu bringen.
Zwei Argumente könnten die untätige Politik beim Wohnen aus Peyinghaus’ Sicht zum Handeln bewegen. Erstens liege Deutschland laut einer Umfrage unter Managern als möglicher Unternehmensstandort weit hinten, weil es dort so schwierig sei, an Wohnraum zu kommen. Und zweitens wiesen erste Daten einer Forschungsarbeit der Universität Magdeburg darauf hin, dass ein Zusammenhang zwischen Wohnungsnot und dem Anstieg der Schwangerschaftsabbrüche bestehe. Wenn deshalb weniger Kinder geboren werden und sich Unternehmen nicht mehr ansiedeln möchten, bedeute die Wohnungsnot für Deutschland massive Probleme. „Dann kann der Wohlstand nicht mehr gehalten werden“, warnt Peyinghaus.
„Enteignung ist Symbolpolitik.“
- Einar Skjerven
Wie es ist, Wohnungsnot hautnah mitzuerleben, werden uns zu später Stunde noch Vertreter einer Berliner Mieterinitiative erzählen. Diese hegen allerdings große Zweifel, ob die Immobilienleute sie ernst nehmen werden. Ich frage Skjerven, ob er noch direkten Kontakt zu Mietern hat. Der sonst stets fröhlich wirkende Investor wird plötzlich nachdenklich und lässt sich mit der Antwort Zeit. „Wir haben wirklich viel versucht, mit den Mietern zu reden, aber es kam nicht gut an“, sagt er. Zu sehr seien die Mieter in Vorurteilen gefangen, die durch die Medien erzeugt würden. Dort werde der Vermieter gerne als böse und der Mieter als schwach dargestellt. „Aber so ist es nicht.“
Unser Gespräch wird unterbrochen. Thomas Porten, Herausgeber der Immobilien Zeitung, bringt die Speisekarte von einem italienischen Restaurant in der Nähe und fragt, was wir essen wollen. Peyinghaus mag nichts, weil sie sich kurz zuvor den Magen verdorben hat, Schäfer will eigentlich später noch woanders essen. Schließlich schlägt Skjerven vor, eine Pizza für alle zu bestellen. „Wäre das für Sie okay, wenn ich die Veranstaltung dann um 21 Uhr verlasse?“, fragt Schäfer mich daraufhin. Er habe noch eine Verabredung. Ich lehne den „Antrag“ ab. Schließlich war vorher klar ausgemacht worden, dass wir die ganze Nacht im Zelt verbringen. „Wollen Sie doch noch mal nachbestellen, Herr Schäfer?“, möchte Porten wissen. Doch dieser verneint und tippt nun nervös auf seinem Handy herum.
Thomas Porten: „Wer möchte eine Pizza?“
Mit einem Hinweis auf die Forderung, Wohnungsgesellschaften zu vergesellschaften, lässt sich die Diskussion schnell wieder entfachen. „Ich finde das komplett unmöglich!“, platzt es aus Skjerven heraus. „Wenn das wirklich passiert, kommen die betroffenen Investoren niemals wieder zurück nach Deutschland.“ Das sei reine Symbolpolitik. „Man kann es Symbolpolitik nennen, aber es erhöht zumindest den Druck auf das Thema und zeigt, dass es eine Wohnraumreform braucht“, hält Peyinghaus dagegen.
„Wir kommen in Berlin aus harten Sparjahren.“ - Christian Gaebler
Just erscheint der ebenfalls eingeladene Berliner Bausenator Christian Gaebler im Zelteingang. Der SPD-Politiker hat nur wenige Tage zuvor von einer Expertenkommission ein Gutachten zur Machbarkeit der Vergesellschaftung von Wohnungsgesellschaften erhalten. Deshalb frage ich ihn direkt, was er davon hält. „Es hat den Charme, dass die öffentliche Hand auf einen Schlag 200.000 zusätzliche Wohnungen erhalten würde, die dann von den Landesgesellschaften ohne privates Gewinninteresse bewirtschaftet werden könnten“, sagt Gaebler. Aber private Bauherren würden sich dann fragen, warum sie überhaupt noch Wohnungen bauen sollen, wenn der Staat diese später vergesellschaftet. „Die denken sich, dann soll der Staat doch selbst bauen.“ Das bekäme Berlin aber vermutlich mit seinen eigenen Mitteln nicht in diesem Maße hin. „Letztlich stünden wir dann wohl mit weniger Neubau da.“
Einar Skjerven (1. v.l.) und Berlins Bausenator Christian Gaebler (2. v.l.) ergänzen die Runde.
Mir klingt noch Skjervens laute Klage über die untätige Politik in den Ohren. Gegenüber dem Bausenator hält sich der Investor aber vornehm zurück. Dann frage eben ich Gaebler nach seiner Strategie für mehr Wohnraum. Damit Investoren schneller und planungssicher Wohnungen bauen können, will der Senator Verfahren vereinfachen und Fristen für die Verwaltung festlegen. Bauherren sollen künftig nicht mehr bei jeder einzelnen Fachabteilung vorstellig werden müssen, sondern die Abteilungen sich untereinander abstimmen. Ein „Projektlotse“ der Verwaltung koordiniert diesen Prozess. „Es darf nichts vier Wochen liegen bleiben, nur weil jemand im Urlaub ist“, findet Gaebler.
Schäfer ist wieder voll bei der Sache. Er spricht Gaebler auf die vielen DIN-Normen an, die Bundesbauministerin Klara Geywitz auf den Prüfstand stellen will. Gaebler gibt sich pragmatisch. „Normen sind das eine, ihre Anwendung als quasi-gesetzliche Vorgabe das andere“, sagt er.
Gaebler: „Es darf nichts vier Wochen liegenbleiben.“
Viele Bauämter würden sich sehr streng daran halten, selbst wenn der Bauherr für eine geplante Abweichung positive Sicherheitsgutachten vorlege. „Die Bauämter wollen keine Verantwortung für die Risiken übernehmen.“ Dabei ließen sich viele Probleme mit mehr Flexibilität lösen.
Nachdem das ohrenbetäubende Martinshorn eines Krankenwagens verklungen ist, stelle ich fest, dass die Aussagen des Senators für mehr Dienstleistermentalität sprechen. „Die Bauverwaltung ist nicht Dienstleister, sondern muss Gesetze umsetzen“, empört sich Schäfer. Der Senator bedankt sich freundlich für den Einwurf. „Es stimmt aber beides.“ Bei so viel Harmonie meldet sich nun Wohninvestor Skjerven doch zu Wort: „Mit der Servicementalität läuft es in Oslo besser.“ Dort gebe es vielleicht mehr Personal, vermutet Gaebler. „Wir kommen in Berlin aus harten Sparjahren. Und neue Mitarbeiter zu finden, ist schwierig.“
Schwierig erscheint mir in der Hauptstadt auch die Nachverdichtung mit Wohnraum, denn bei jedem größeren Bauprojekt stellt sich sofort eine Bürgerinitiative oder eine Bezirksregierung in den Weg. Gaebler nimmt das gelassen. Notfalls würden die Wohnungen eben zunächst für Geflüchtete errichtet. „Als oberste Bauaufsicht können wir die selbst direkt genehmigen.“ Die Wohnungen kämen dann später auch für andere Nutzer infrage.
Andreas Schulten bringt Tee und Kaffee.
Der Senator steht auf und verabschiedet sich. „So nett es bei Ihnen ist ...“ Skjerven schließt sich an und wirft uns mit Blick auf die Feldbetten ein heiteres „Schlaft gut!“ zu. Noch ist es aber nicht so weit. Fotograf Christof Mattes bringt uns eine Karte mit Heißgetränken eines benachbarten Burgerrestaurants. Peyinghaus und Schäfer bestellen Kräuter- und Ingwertee, ich einen Latte Macchiato. „Ist der Tee dann noch heiß?“, will Schäfer nach seiner schlechten Erfahrung mit der Pizza wissen und macht sich auf den Weg zum Sanitärcontainer. „Das ist ja eine Weltreise“, klagt er nach seiner Rückkehr. Ich mache ihn darauf aufmerksam, dass wir zu Gast bei seinem Wettbewerber CA Immo sind. Der Projektentwickler hat uns netterweise die kleine Rasenfläche samt Strom, Toiletten und Parkplatz zur Verfügung gestellt, der Hausmeister vorher eigens noch den Boden gefegt.
Schulten: „Wer hat denn überhaupt Wohnungsprobleme?“
„Hier kommen die Getränke!“, ruft jemand. Lieferant am späten Abend ist Andreas Schulten, Generalbevollmächtigter des Marktforschers Bulwiengesa. Während sich alle daran erfreuen, dass die Getränke heiß sind, erzähle ich ihm, dass gerade eben noch der Berliner Bausenator bei uns war und ich dessen Einstellung zur Wohnungspolitik konstruktiv finde. „Wenn der konstruktiv war, kann ich ja unkonstruktiv sein“, beschließt Schulten. „Wer hat denn in Deutschland überhaupt Wohnungsprobleme?“, fragt er provozierend. Und beantwortet seine Frage gleich selbst: „Nur zwei Prozent der Bevölkerung.“ Diese gehörten überwiegend bestimmten sozialen Gruppen wie Migranten oder Alleinerziehenden an. „Die meisten Leute kriegen ihre Wohnsituation irgendwie hin“, meint er. Schulten prognostiziert allerdings auch, dass die Berliner Wohnungspreise weiter steigen werden. „Nicht nur die Mieten, sondern auch relativ schnell wieder die Eigentumspreise, weil wir dieses Angebot-Nachfrage-Dilemma haben.“ Sie seien aber immer noch „lächerlich niedrig“ im Vergleich zu anderen europäischen Metropolen. Ich werfe ein, dass die Wohnkosten allerdings im Verhältnis zum Einkommen gesehen werden müssen. „Das ist nur eine Gewohnheitsfrage“, meint Schulten. „Ob 40% oder 80% des verfügbaren Einkommens fürs Wohnen benötigt werden, ist mehr als eine Gewohnheitsfrage“, widerspricht Schäfer. „Aber wie viele Leute geben nur 10% fürs Wohnen aus?“, lässt sich Schulten nicht beirren.
Florence Jimenez Otto (2. v.r.) und Thomas Jorkisch (3. v.r.) beklagen profitsteigernde Strategien der Immobilienbranche.
Mir fällt auf, dass die Mieterinitiative schon längst da sein sollte. Ich werde auf eine Gruppe von Menschen aufmerksam, die etwas abseits vom Zelt stehen und Flaschen mit Bio-Limonade in den Händen halten. Tatsächlich, es sind Florence Jimenez Otto und Thomas Jorkisch sowie einige weitere Mitglieder der Initiative Weberwiese. Auf meine Bitte hin kommen sie zögerlich ins Zelt. „Sie waren so ins Gespräch vertieft, da wollten wir nicht stören“, erklärt Jimenez Otto. Peyinghaus, die sich inzwischen trotz Steppjacke eine der Bettdecken um den Rücken geschlungen hat, interessiert sich dafür, um welche Berliner Wohnsiedlung es genau geht. „Ist das an der Karl-Marx-Allee?“ „Es ist die kleine Schwester der Karl-Marx-Allee, ein Block dahinter, ähnliches Baujahr“, beschreibt Jimenez Otto und ergänzt: „Wenn Sie den Film ,Das Leben der Anderen‘ oder die Serie ‚Weissensee‘ kennen – beides wurde bei uns gedreht.“ Bei der Initiative geht es aber um ganz reale Probleme. Die Mitglieder bewohnen ein denkmalgeschütztes Gebäudeensemble aus den 1950er Jahren. Insgesamt sind es etwa 500 Wohnungen. Diese liegen schon seit den 1990er Jahren nicht mehr in öffentlicher Hand. Sie wechselten mehrfach den Eigentümer. Zunächst erwarb ein Duisburger Investor die Gebäude, später das dänische Unternehmen Tækker, das sie in Eigentumswohnungen aufteilte. Schließlich landeten die Wohnblöcke bei der Gesellschaft White Tulip, die dem Investmentfonds Round Hill Capital gehört.
Seitdem erreichen die Bestandsmieter Eigenbedarfskündigungen von Wohnungskäufern. Anderen Mietern werden Abfindungen angeboten, wenn sie freiwillig ausziehen. Leerstehende Wohnungen werden möbliert vermietet. Damit muss die Mietpreisbremse auf diese nicht angewendet werden. „Da wird für den dreifachen Preis vermietet“, berichtet Jorkisch. Er hat außerdem beobachtet, dass kleine Wohnungen mit Doppelstockbetten ausgestattet werden, um dort bis zu sechs Menschen unterzubringen. „Es wird schamlos ausgenutzt, dass Leute Schwierigkeiten haben, eine Wohnung zu bekommen“, ärgert er sich. Für Jimenez Otto ist es „ein Paradebeispiel, wie die Immobilienbranche profitsteigernde Strategien anwendet“. Ich hatte zuvor den Bausenator auf den Fall angesprochen. Ihm ist die Problematik im Quartier bekannt, er sagt jedoch: „Wir können dort wenig machen.“ Die Wohnungen seien aufgeteilt worden, bevor die Milieuschutzsatzung in Kraft trat. Zudem seien sie zum Teil bereits an Einzeleigentümer weiterverkauft worden. Einen Kauf der verbliebenen Wohnungen durch eine Landesgesellschaft schließt Gaebler aus. „Dafür würden keine Paketpreise mehr, sondern Einzelpreise verlangt – ein teurer Spaß.“ Beim möblierten Wohnen müsse dagegen vom Gesetzgeber auf Bundesebene „nachgeschärft“ werden. Es sei aber fraglich, ob die Bundesregierung das hinbekomme, mit „einem Schutzpatron der Immobilienwirtschaft“. Was Bundesjustizminister Marco Buschmann tue, sei „falsch verstandener Schutz“.
„Da wird für den dreifachen Preis vermietet.“ - Thomas Jorkisch
Wenn schon die Politik nichts ausrichten kann oder will, haben vielleicht die anwesenden Immobilienprofis Tipps für die Mieter? „Hier sitzen doch die Fachleute“, sagt Jorkisch und blickt erwartungsvoll Schäfer an. Der nimmt – obwohl nach eigener Beteuerung nie im Aufteilergeschäft aktiv gewesen – die Herausforderung an. Schäfer möchte zunächst wissen, ob denn wirklich bei allen in der Weberwiese ausgesprochenen Kündigungen Eigenbedarf besteht. „Wenn das missbraucht wird, drohen bitterböse Schadenersatzzahlungen“, weiß er. Doch solche Fälle sind weder Jimenez Otto noch Jorkisch bekannt. „Aber vielleicht gibt es ja eine Chance, dass es sich finanzieren lässt, dass die Wohnungen wieder in öffentliche Hände kommen“, hofft die Sprecherin der Initiative. Peyinghaus hält dafür sogar eine Idee parat: „Es wäre eine Art Fondsprodukt denkbar, bei dem der Staat nicht allein aktiv wird, sondern zusätzlich Bürger zum Kauf der Weberwiese beitragen.“ Damit könnten die bestehenden Mietkonditionen erhalten werden. Jimenez Otto erzählt, dass die Weberwiese unter der Marke 54East als authentischer und kreativer Kiez vermarktet wird. „Kann man das nicht so sehen, dass es nachhaltiger für die Immobilienwirtschaft ist, wenn die dort lebenden Menschen das Viertel interessant machen?“ „Ja, das ist richtig“, stimmt Peyinghaus zu. Wenn ein Viertel gentrifiziert wird, verliere es an Attraktivität. Das sei belegbar.
Nach Mitternacht. Die Diskussionen dauern an.
„Aber was können Sie denn tun, um soziale Milieus zu erhalten? Sie hören sich so an, als hätten Sie für unsere Belange Verständnis“, lässt Jorkisch nicht locker. „Mit Grund und Boden wurde irre spekuliert, Projektentwickler wie Rainer Schäfer können da nichts mehr machen, weil die Grundstücke so teuer geworden sind“, springt Analyst Schulten in die Bresche. Er sieht eine Lösung in der Gründung von Genossenschaften. Damit könne sich zwar nicht jeder eine Wohnung kaufen, aber zumindest am Eigentum und dessen Wertsteigerung partizipieren. Im konkreten Fall der Weberwiese helfe dies wegen der gemischten Eigentümerstruktur aber auch nicht weiter. „Da ist das Kind schon in den Brunnen gefallen“, bedauert Schulten. Es folgt betretenes Schweigen auf beiden Seiten. „Dann versuchen wir es eben weiter auf den drei Ebenen Politik, Öffentlichkeit und Zusammenhalt“, sagt Jorkisch schließlich. „Und das machen Sie genau richtig“, erwidert Schulten. Es ist bereits nach Mitternacht. Die Initiative macht sich auf den Weg und lässt uns mit unseren Gedanken zurück. „Man muss sich ja immer ein Stück weit schämen für die schwarzen Schafe in der Branche“, sinniert Schäfer. „Das ist halt Marktwirtschaft“, meint Schulten. Peyinghaus ist durch das Gespräch dagegen klar geworden, dass es mehr Anlageprodukte für soziale Investitionen braucht. „Es gibt viele Menschen und Institutionen, die noch etwas Geld übrig haben und gerne solche Dinge unterstützen möchten.“
„Das ist halt Marktwirtschaft.“ - Andreas Schulten
Inzwischen ist es richtig kühl geworden in unserem Zelt. Nachdem Schulten davongeradelt ist, frage ich Peyinghaus und Schäfer, ob ich für die anschließende Übernachtung noch zusätzliche Decken aus einem benachbarten Hotel holen soll. „Ist die Idee wirklich, dass wir hier übernachten?“, möchte Peyinghaus wissen. „Er scherzt“, sagt Schäfer. Nein, das tue ich nicht. „Also ich bin raus“, stellt Schäfer fest. Er erklärt, dass er den Straßenkrach nicht länger ertragen könne. „Ich würde ja kein Auge zutun.“ „Ich habe meinen Schlafanzug mitgebracht, aber wenn Herr Schäfer absagt ...“, beginnt Peyinghaus. In diesem Moment wird mir klar, dass mich beide Mitbewohner im Stich lassen werden. Ich werde wohl die Nacht alleine im Zelt verbringen müssen. Peyinghaus und Schäfer gehen ins Hotel. Ich ziehe meinen Schlafanzug an und lege mich aufs Feldbett. Bettdecken habe ich ja jetzt genug. Leider muss ich Schäfer aber wohl oder übel Recht geben. Mit dem Schlafen will es nicht so recht klappen. Mal lässt neben dem Zelt jemand eine Flasche fallen, mal lärmen Krähen über mir. Außerdem fühle ich mich durch die vielen Fenster und das helle Licht draußen doch etwas zu sehr auf dem Präsentierteller. Ich ziehe mir deshalb die Bettdecke bis unter die Nase. Beim ersten Morgengrauen stehe ich auf und baue das Zelt wieder ab. Dann darf ich ebenfalls ins Hotel, zum Frühstücken.