
„Hier ein Haus zu finden, ist fast unmöglich“
Familie Maoz Ovadia, Halamish


„Hier ein Haus zu finden, ist fast unmöglich“
Familie Maoz Ovadia, Halamish
„In Halamish ein Haus zu finden, ist inzwischen fast unmöglich“, erzählt Miri Maoz Ovadia. Die 36jährige ist als Kleinkind mit ihren Eltern aus England in die noch junge Siedlung rund 20 Kilometer nordöstlich der zentralisraelischen Stadt Modi’in gezogen. Die Familie hatte das Dorf im Westjordanland gewählt, weil die Bewohner streng nach religiösen Richtlinien leben, aber nicht ultra-orthodox sind.
Wichtig sei der Zusammenhalt innerhalb der Gemeinde, erzählt Miri. Er führe auch dazu, dass viele Nachkommen der ersten Generation hierbleiben wollen. Das ist jedoch nicht einfach, denn das Land ist knapp. Halamish ist eine auf besetztem palästinensischem Privatland gegründete jüdische Siedlung, die nicht erweitert werden darf. Baugenehmigungen werden von der israelischen Regionalverwaltung nur an Projektentwickler vergeben, die komplette Quartiere errichten.
Halamish ist für Miri eine friedliche Idylle, in der sie ihre Kinder aufwachsen lassen will. Doch auch hier hat es 2017 einen tödlichen Angriff durch Palästinenser gegeben, bei dem drei Israelis ihr Leben verloren.
Nach ihrem Studium in Jerusalem, wo sie auch ihren zwei Jahre älteren Mann Shlomo kennen gelernt hat, arbeitete Miri einige Jahre bei der Regionalverwaltung des Bezirks Binyamin im südlichen Samaria, zu dem auch Halamish gehört. Nach der Hochzeit wohnten die beiden zunächst in einer kleinen Wohnung in der Großstadt. Als der heute neunjährige Naveh geboren war, wünschten sich die jungen Eltern ein Leben in einer kleineren Gemeinde. Miri wollte zurück an den Ort ihrer Kindheit und ihrer Freunde. Durch die Nähe zu ihren Eltern erhoffte sie sich Unterstützung mit dem kleinen Kind und weiterem Familienzuwachs.

Die Maoz Ovadias konnten ein altes Haus kaufen und bauen es nach und nach aus.

Als sie schließlich nach Halamish zurückkamen, gab es dort keine Wohnung. Die ersten beiden Jahre mussten sie in einem Mobile Home leben. Dann stand ihr jetziges Haus zum Verkauf. Es war 20 Jahre lang vermietet gewesen und dringend sanierungsbedürftig. Trotz des hohen Kredits und viel Eigenarbeit sei das anfangs ungeliebte Objekt ein gutes Geschäft geworden. Die Renovierung ist jedoch noch längst nicht abgeschlossen. Damals gab es nur zwei israelische Banken, die Kredite für Häuser im Westjordanland vergaben.
Inzwischen haben viele weitere Familien ältere Häuser übernommen und renoviert. Das Viertel sei nun altersmäßig gut durchmischt, erzählt Miri, seit April Mutter von fünf Kindern. „Natürlich bekommen wir die politischen Spannungen im Land auch hier mit, aber die Leute kümmern sich im Allgemeinen mehr um ihren Alltag“, sagt sie. Ihr Haus gehört zu den ersten festen Gebäuden, die in Halamish errichtet wurden, und liegt in einem Viertel mit großen Bäumen und blühenden Gärten. Auf 240 Quadratmeter Wohnfläche hat es vier Schlafzimmer sowie eine Einliegerwohnung, einen Garten und eine Dachterrasse. Das meiste ist schon nach den eigenen Vorstellungen umgebaut.
Bevor Miri am Nachmittag mit vier ihrer fünf Kinder ins örtliche Freibad geht, zeigt sie uns das gerade fertig gewordene Haus einer befreundeten Architektin. „Sie hatten Glück und konnten ein neues Haus kaufen, weil es hier vor einiger Zeit gebrannt hat. Nach dem Feuer mussten die alten Gebäude abgerissen werden und ein Projektentwickler hat eine Baugenehmigung für neue Wohnhäuser bekommen“, erzählt Miri. Ihre Freundin hat ebenfalls fünf Kinder, die sich noch zwei Schlafzimmer teilen müssen. Das soll sich jedoch bald ändern. Die vorgeplanten Häuser dürfen erst nach der Übergabe nach eigenen Vorstellungen verändert werden.
Am Freibad zeigt sich, wie sehr die Religion das Leben im Dorf bestimmt: Naveh darf mit seinen neun Jahren zum ersten Mal nicht mehr mit den Frauen und Mädchen baden, für Miri bedeutet das deutlich mehr Organisation. Denn die kleineren Kinder kann sie nicht allein beaufsichtigen. Ihre Mutter muss helfen.
Kindergärten und Grundschulen gibt es im Dorf, ältere Kinder fahren mit dem Bus in Nachbarorte. Schwieriger ist es mit der medizinischen Versorgung. Die nächsten Ärzte sitzen mehr als 20 Kilometer entfernt im ultra-orthodoxen Modi’in Illit, direkt hinter dem Checkpoint, der die Grenze zwischen dem Westjordanland und Israel markiert, und damit hinter dem Dauerstau zu Stoßzeiten.

„Es ist ein Wunder, was hier entstanden ist“
Familie Tayar, Beit Horon


„Es ist ein Wunder, was hier entstanden ist“
Familie Tayar, Beit Horon
„Es ist ein Wunder, ein wirkliches Wunder, was hier entstanden ist“, wiederholt Yehudit Tayar, wann immer sie von ihrem Dorf Beit Horon erzählt. Die 69-Jährige und ihr gleichaltriger Mann Ami gehören zu den Familien, die hart gearbeitet haben, um aus der anfänglich nur aus Caravans bestehenden kleinen Ansiedlung rund um einen Stützpunkt der israelischen Armee das grüne, lebenswerte Dorf zu machen, das sich dort heute befindet.
In Beit Horon sprießen nicht nur Bäume und Blumen, Familien leben hier mittlerweile in der dritten Generation und genießen die vielen Vorteile eines fast immer ruhigen Dorflebens, die allerdings nur unter hohen Sicherheitsvorkehrungen zu haben sind. Geschenkt wurde den Siedlungspionieren nichts. „Mit kleinen Kindern jahrelang in einem Wohnwagen zu leben, ist nicht leicht“, sagt Yehudit.
Als sie 1980 mithilfe der zionistischen Organisation Gush Emunim in das drei Jahre zuvor gegründete Camp kamen, lebten hier 14 Familien in kärglichen Verhältnissen. Wasser und Strom gab es nicht. Dafür aber einen großen Gemeinschaftssinn, denn alle Siedler verband der Wunsch, das Land der Bibel für das Volk Israel zurückzugewinnen.
Der Ort nordwestlich von Jerusalem war bis vor wenigen Jahren nur über kleine Straßen und einen Umweg durch die palästinensische Hauptstadt Ramallah zu erreichen. Mittlerweile verbindet unterhalb des Dorfes eine gut ausgebaute Fernstraße Jerusalem mit Tel Aviv. Wer genau hinschaut, entdeckt daneben eine zweite Straße: Sie dient nur der arabischen Bevölkerung der kargen umliegenden Dörfer. Auch das gehört zur Realität im Westjordanland.

Yehudit Tayar ist für die Sicherheit in Beit Horon zuständig. In ihrer Hand das Gehäuse einer Granate.

Nach einigen Jahren im Camp erteilte die israelische Regierung Baugenehmigungen und die Siedler konnten Land kaufen. Das große Haus, das die Tayars heute bewohnen, haben sie nach und nach selbst aufgebaut und Ami arbeitet noch heute bei der Reparatur des Daches mit. Jedes der vier Kinder bekam sein eigenes Zimmer, hinzu kommen ein großer Wohn-Essbereich mit einer offenen Küche und eine geschlossene Veranda.
Luxuriös ist das Haus nicht. „Wir sind einfache Leute, wir sind zufrieden mit dem, was wir haben“, betont Yehudit. Eines der Kinderzimmer ist mittlerweile zum Spielzimmer für die Enkel umfunktioniert worden, denn eine Tochter ist mit ihrer eigenen Familie im Dorf geblieben. Die anderen drei Kinder leben über Israel verteilt, kommen aber oft zu Besuch.
Yehudit und Ami haben sich Ende der 1960er Jahre in der israelischen Armee kennen gelernt. Yehudit stammt aus einer Soldatenfamilie, ihr Vater diente zeitweise in der US Air Force, für die er in Pearl Harbour im Einsatz war. Ein historischer Zeitungsausschnitt im Flur erinnert daran, dass er als einziger einen Liebesbrief vor dem Angriff begonnen und danach beendet hat. Amis Mutter ist als Holocaust-Überlebende nach Israel gekommen.
Als Berufssoldaten waren beide Tayars lange Zeit in Gush Katif im südlichen Gazastreifen stationiert. Beim Einschlag einer Mörsergranate ist Yehudit dort schwer verletzt worden. Einige Relikte aus dieser Zeit, darunter auch das Gehäuse der Granate, hat sie in einer Vitrine aufbewahrt.
Aus der Armee sind die beiden längst entlassen, aber eine Waffe trägt Yehudit bis heute. Sie ist eine der Hauptverantwortlichen für die Sicherheit im Dorf, Ersthelferin und Lebensretterin. Einmal jedoch konnte auch sie nichts mehr tun: Bei einem Angriff durch einen Palästinenser wurde eine junge Erzieherin auf freier Straße getötet, als sie gerade die Kita verließ. Ein Gedenkstein in einem Park erinnert an ein weiteres Anschlagsopfer, das auf dem Rückweg nach Hause getötet wurde. Einmal, so erzählt Yehudit, habe sie aber auch einem arabischen Jungen das Leben retten können, als er in sei- nem Dorf von Jugendlichen verletzt am Boden lag und sich niemand um ihn kümmerte.
Die Menschen hier wollen ihre grüne Oase mit Bildungseinrichtungen, einem Gemeinschaftshaus und Synagogen, die sie mit ihren eigenen Händen erschaffen haben, nicht verlassen. Wichtig sei dabei, dass der Zusammenhalt die Entwicklung von Beit Horon bis heute begleitet, sagt Yehudit.

„Ein Haus mit Garten war zu teuer“
Familie Abelow, Efrat
Foto: Rebecca Kowalsky

Foto: Rebecca Kowalsky

„Ein Haus mit Garten war zu teuer“
Familie Abelow, Efrat
Avi und Rachel Abelow leben mit ihren vier Söhnen zwischen 15 und 23 Jahren in Efrat zwischen Bethlehem und Hebron in den Judäischen Bergen. Die beiden 50-Jährigen sind gebürtige Amerikaner. Avi ist 1990 mit seinen Eltern und Geschwistern aus New York hierhergekommen. Sie sind Shlomo Riskin, dem Rabbi und Gründer eines religiösen Bildungsnetzwerks, gefolgt, für den sein Vater schon in den USA arbeitete. Mit anderen Neuankömmlingen hat Avis Mutter tagelang auf dem noch unbebauten Hügel ausgeharrt, bis die Regierung das Gebiet den Siedlern überließ. Rachel hat die Stadt während eines Israelaufenthalts in jungen Jahren kennen gelernt. Nach ihrer Hochzeit mit Avi entschieden sich die beiden für ein Leben in Judäa.
Efrat ist auf sogenanntem Staatsland erbaut, palästinensischem Land, das Israel annektiert und den Siedlern verkauft hat. Geschaffen haben sie darauf eine durchdachte Planstadt. Durch die umfassende Planung konnten alle Notwendigkeiten berücksichtigt werden: Spielplätze, Schulen für alle Alters- und Bildungsstufen, mehr als 20 Synagogen unterschiedlicher Ausrichtungen, Freizeiteinrichtungen und inzwischen auch zwei Einkaufszentren. Eins davon liegt nur wenige Minuten zu Fuß vom Haus der Abelows entfernt. Auch die medizinische Versorgung ist sichergestellt. Auf Wunsch der niedergelassenen Ärzte hat die Gemeinde kürzlich sogar ein medizinisches Versorgungszentrum und eine kleine Klinik errichtet.

Rachel und Avi Abelow leben seit mehr als 20 Jahren in Efrat südlich von Jerusalem.
Als Avi sein Psychologiestudium in New York beendet hatte und Rachel bereits ausgebildete Pädagogin war, sind die beiden mit ihrem ältesten Sohn Yakir nach Efrat zurückgekommen. Vor 22 Jahren haben sie eine 150 Quadratmeter große Wohnung mit fünf Schlafzimmern gekauft, die sich über die oberen zwei Etagen eines vierstöckigen Hauses erstreckt, aber einen direkten Zugang zur Straße hat. Wie in vielen israelischen Städten sind die Straßen am Berg entlang angelegt und ermöglichen eine terrassenförmige Architektur. Durch die Hanglage entstehen zwei Häuser übereinander, die jeweils über einen eigenen Eingang verfügen. Von ihrer Terrasse bietet sich den Abelows ein unverbaubarer Blick über das Tal und bei gutem Wetter bis zum Mittelmeer. „Das war der Grund, warum wir diese Wohnung haben wollten“, betont Rachel.
„Natürlich hätten wir gern ein Haus mit Garten gekauft“, entgegnet Avi. „Das war aber zu teuer.“ Dank eines sonnengeschützten Spielplatzes direkt vor der Tür und einer kleinen Parkanlage nebenan haben sie den Garten jedoch nie vermisst. „Vom Küchenfenster aus konnte ich die Kinder immer beobachten“, erinnert sich Rachel. Heute nutzt sie die Klettergeräte für ihre Nachmittagsbetreuung, mit der sie zusätzlich Geld für die Familie verdient.
Avi arbeitet als Medienproduzent mit eigenem Unternehmen im etwa 20 km entfernten Jerusalem. Heutzutage sei es einfach, in die Stadt zu pendeln, sagt er. Der Highway nach Jerusalem ist gut ausgebaut und es gibt eine regelmäßige Busverbindung. Als die Kinder der Abelows klein waren, sah das völlig anders aus. Avi musste damals täglich zur Arbeit nach Tel Aviv und verbrachte so viel Zeit im Straßenverkehr, dass seine Kinder ihm den Kosenamen „Schabbat-Papa“ gaben, weil sie ihn nur am Wochenende sahen.
Als die Familie die damals günstige Wohnung bezog, gab es auf der anderen Seite des Parks und im Tal keine weiteren Häuser. Ihre Söhne sind mit der Stadt groß geworden. Heute liegt die Siedlung im Speckgürtel von Jerusalem und die Preise sind teilweise höher als dort. „Efrat ist wie eine Kleinstadt auf dem Land und dennoch hat man das Gefühl, in einem Vorort zu leben“, sagt Avi.
Die Abelows sind überzeugt, dass der Ort auch wegen seiner Bildungseinrichtungen bei Familien so begehrt ist. Schulen und Freizeitangebote gelten als gut und die Gated Community bietet ein sicheres Umfeld, in dem sich Kinder frei bewegen können. Man setzt sich für ein friedliches Miteinander ein. Im Supermarkt arbeiten Israelis und Palästinenser zusammen. Doch die Idylle trügt: Vor fünf Jahren ist Avis Freund und Nachbar vor diesem Supermarkt von einem Palästinenser angegriffen und erstochen worden.
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