Die weiße Wüstenstadt
Text, Fotos und Video | Stefan Merkle

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Die weiße Wüstenstadt
Text und Fotos | Stefan Merkle

Im Herzen Asiens liegt eine Stadt aus weißem Marmor: Aschgabat, die Hauptstadt von Turkmenistan. Tausende Gebäude sind mit Platten des schillernden Gesteins verkleidet. Die exzentrischen Vorlieben der turkmenischen Herrscher lassen sich auch sonst überall in der Stadt ablesen. Die Zahnklinik sieht aus wie ein Backenzahn, das Haus der freien Kreativität wie ein Buch und der Flughafen hält den Weltrekord als größtes, in der Form eines Vogels gestaltetes Bauwerk.
Der Bagt Köşgi, der „Palast des Glücks“, ist die Location für Hochzeiten in Aschgabat. Dass in dem 2011 fertiggestellten Komplex auch Scheidungen angemeldet werden können, sehen die Hauptstadtbewohner nicht als Widerspruch, schließlich sei es für manch einen auch ein Glück, wieder frei zu sein. Das dreistufige Bauwerk wird von einem Würfel mit einer Kugel mit einem Durchmesser von 32 Metern gekrönt, auf der die Karte Turkmenistans abgebildet ist. Es gibt mehrere Festsäle, die täglich von Hochzeitsgesellschaften gebucht werden, der edelste davon wartet direkt in dem goldenen Globus auf Gäste. Im Sockel finden sich zudem Geschäfte für Hochzeitskleidung, Hochzeitsdekoration oder die Vermietung von Hochzeitsautos, -schmuck und -stickereien sowie Fotostudios und Schönheitssalons, kurz alles, was die turkmenische Braut wünscht und benötigt. Die Kosten für den „Palast des Glücks“ wurden auf 133 Mio. USD geschätzt, tätig wurde das türkische Bauunternehmen Polimeks. Es gibt auch ein kleines Hotel mit zehn Zimmern, das aber für jede turkmenische Hochzeitsgesellschaft damit viel zu klein geraten ist. Hier werden daher bevorzugt ausländische Touristen einquartiert.

Der Bagt Köşgi, der „Palast des Glücks“, ist die Location für Hochzeiten in Aschgabat. Dass in dem 2011 fertiggestellten Komplex auch Scheidungen angemeldet werden können, sehen die Hauptstadtbewohner nicht als Widerspruch, schließlich sei es für manch einen auch ein Glück, wieder frei zu sein. Das dreistufige Bauwerk wird von einem Würfel mit einer Kugel mit einem Durchmesser von 32 Metern gekrönt, auf der die Karte Turkmenistans abgebildet ist. Es gibt mehrere Festsäle, die täglich von Hochzeitsgesellschaften gebucht werden, der edelste davon wartet direkt in dem goldenen Globus auf Gäste. Im Sockel finden sich zudem Geschäfte für Hochzeitskleidung, Hochzeitsdekoration oder die Vermietung von Hochzeitsautos, -schmuck und -stickereien sowie Fotostudios und Schönheitssalons, kurz alles, was die turkmenische Braut wünscht und benötigt. Die Kosten für den „Palast des Glücks“ wurden auf 133 Mio. USD geschätzt, tätig wurde das türkische Bauunternehmen Polimeks. Es gibt auch ein kleines Hotel mit zehn Zimmern, das aber für jede turkmenische Hochzeitsgesellschaft damit viel zu klein geraten ist. Hier werden daher bevorzugt ausländische Touristen einquartiert.
Vom Präsidentenpalast über Büro- und Wohntürme bis hin zu Supermärkten und sogar Autowerkstätten: Sie alle schimmern in weißem Marmor. Alleine an der 12,6 km langen Hauptstraße Bitarap Türkmenistan Sayolu stehen 170 Gebäude, die mit insgesamt 1.156.818 qm davon verkleidet sind. Hinter den glänzenden Fassaden verbirgt sich allerdings eines der repressivsten Regime der Gegenwart, wie Human Rights Watch urteilt. Bekannt ist darüber im Westen ebenso wenig wie über die weiße Wüstenstadt selbst, denn Turkmenistan gehört aufgrund der herrschenden Diktatur zu den abgeschottetsten Ländern überhaupt.
Die Geschichte, wie der in aller Welt zusammengetragene weiße Marmor in die Stadt am Rande der Wüste Karakum gelangte, beginnt mit Saparmurat Atajewitsch Nijasow, dem letzten Generalsekretär der Turkmenischen Sowjetrepublik und ersten Präsidenten des Landes nach der Unabhängigkeit im Jahr 1992. Nijasow etablierte in dem Land mit heute knapp sechs Millionen Einwohnern eine Diktatur, die unter seinen Nachfolgern weiter besteht und in einer an fanatischen Diktaturen nicht gerade armen Welt als besonders fanatisch hervorsticht. So belegt der zentralasiatische Staat zum Beispiel im Demokratieindex von Freedom House seit Jahren den letzten Platz, von Kriegsgebieten abgesehen. Selbst Nordkoreanern schreibt der Index mehr politische Rechte und bürgerliche Freiheiten zu. Ganz nebenbei zählt Pjöngjang auch mehr ausländische Touristen als Aschgabat.

Ein Monument für die beliebteste Hunderasse in Turkmenistan, den Alabai.
Woher Nijasows Vorliebe für das metamorphe Gestein rührte, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Laut seinen Anhängern hat er den Baustoff aufgrund klimatischer Anpassung favorisiert. Marmor reflektiere Sonnenlicht und helfe, Gebäude in Aschgabats heißem und trockenem Klima kühler zu halten, wird berichtet. Auch kursiert die Überlieferung, dahinter stecke bestes betriebswirtschaftliches Kalkül. Schließlich seien Marmorfassaden lange haltbar und pflegeleicht. Der Turkmenbaschi, was mit Führer der Turkmenen übersetzt werden kann, habe mit seiner Vorgabe dem Volk also bares Geld gespart, wird Besuchern des Landes erzählt. Das mag Propaganda sein, allerdings sorgte sich Nijasow tatsächlich um das Klima der Hauptstadt. Insbesondere soll den Führer umgetrieben haben, dass die Wüstensonne die Schönheit seiner Untertaninnen allzu schnell verblassen lässt. Neben Marmorfassaden setzte er daher auch auf ein groß angelegtes Aufforstungsprogramm mit Tausenden Bäumen. Die Turkmeninnen helfen mit, indem sie bevorzugt mit Sonnenschirm aus dem Haus gehen. Dazu tragen sie lange bunte Kleider, die sie meist selbst nähen.

Der weiße Marmor muss importiert werden.
Nijasow hatte auch einen Reinheitsfimmel, denn Sauberkeit ist den Turkmenen zumindest in Aschgabat bis heute ein großes Anliegen. In der ganzen Stadt liegt keinerlei Müll herum. Es gibt keine Graffiti, keinen Rost, kein Moos, ja nicht ein einziger Halm des im übrigen Land allgegenwärtigen Kamelgrases drückt sich irgendwo durch den schlaglochfreien Asphalt. Eine Armee von Gärtnern und Straßenkehrern hält alles in Schuss. Die Frauen unter ihnen verhüllen ihre Gesichter vollständig, alles für den Turkmenbaschi, alles für die Schönheit. Eine wahrscheinlichere Diagnose für Nijasows Marmorfetisch ist ein ausgeprägter Hang zum Größenwahn. Das soll bei Wüstenfürsten öfters vorkommen, aber Nijasow hatte auch das Geld, diese Neigung im ganz großen Stil ausleben zu können. Turkmenistan verfügt über eines der weltweit größten Gasvorkommen. Davon ließ der Turkmenbaschi die Kräne tanzen: Während seiner Amtszeit entstanden ganze Stadtviertel im sowjetischen Zuckerbäckerstil mit orientalischem Sahnehäubchen obendrauf – monumental, überbordend, üppig dekoriert, oft mit goldenen Kuppeln. Nie fehlen durfte die Fassade aus weißem Marmor. Um das Gesamtbild abzurunden, mussten auch Straßenlaternen, Bushaltestellen, Geländer und sogar Mülleimer in Weiß gestaltet werden, gerne mit goldenen Elementen in Form eines achteckigen Sterns, ein islamisches Symbol für das Paradies, dem Aschgabat nacheifern sollte.

An der 12,6 km langen Hauptstraße Bitarap Türkmenistan Sayolu stehen 170 Gebäude, die mit 1.156.818 qm Marmor verkleidet sind.
Vor Nijasows Amtsantritt war Aschgabat ein wenig ansehnliches Provinzstädtchen, nicht mehr als eine Ansammlung von Chruschtschowkas, jener typischen, meist in den 1960er oder 1970er Jahren errichteten sowjetischen Plattenbauten. Von der jahrhundertealten Altstadt war nach einem Erdbeben 1948 nichts mehr geblieben. Das Epizentrum lag direkt unter der Stadt. Nachts um ein Uhr riss der Boden an etlichen Stellen über einen halben Meter auf, die vielen Lehmbauten stürzten ohne Ausnahme in sich zusammen. Turkmenistans Regierung beziffert die Zahl der Opfer jener Nacht mit 176.000, die Sowjetunion schätzte ihre Zahl auf 110.000. Aschgabat hatte damals knapp 200.000 Einwohner. Fest steht, das Stadtgebiet war rund zwei Jahre Sperrgebiet, bis alle Leichen geborgen und die Trümmer geräumt waren. Dabei hatte sich das Land noch nicht davon erholt, dass gerade Hundertausende im Krieg gegen Deutschland gefallen waren. Ein gigantischer Gedenkkomplex am Rande der Stadt erinnert heute an die beiden Schicksalsschläge für das turkmenische Volk. Im Zentrum stehen die Statuen einer weinenden Mutter und eines Stiers, der eine zersplitternde Erde trägt. Der Tag des Bebens, der 6. Oktober, ist ein arbeitsfreier nationaler Gedenktag.
Nijasow hatte auch einen Reinheitsfimmel, denn Sauberkeit ist den Turkmenen zumindest in Aschgabat bis heute ein großes Anliegen. In der ganzen Stadt liegt keinerlei Müll herum. Es gibt keine Graffiti, keinen Rost, kein Moos, ja nicht ein einziger Halm des im übrigen Land allgegenwärtigen Kamelgrases drückt sich irgendwo durch den schlaglochfreien Asphalt. Eine Armee von Gärtnern und Straßenkehrern hält alles in Schuss. Die Frauen unter ihnen verhüllen ihre Gesichter vollständig, alles für den Turkmenbaschi, alles für die Schönheit. Eine wahrscheinlichere Diagnose für Nijasows Marmorfetisch ist ein ausgeprägter Hang zum Größenwahn. Das soll bei Wüstenfürsten öfters vorkommen, aber Nijasow hatte auch das Geld, diese Neigung im ganz großen Stil ausleben zu können. Turkmenistan verfügt über eines der weltweit größten Gasvorkommen. Davon ließ der Turkmenbaschi die Kräne tanzen: Während seiner Amtszeit entstanden ganze Stadtviertel im sowjetischen Zuckerbäckerstil mit orientalischem Sahnehäubchen obendrauf – monumental, überbordend, üppig dekoriert, oft mit goldenen Kuppeln. Nie fehlen durfte die Fassade aus weißem Marmor. Um das Gesamtbild abzurunden, mussten auch Straßenlaternen, Bushaltestellen, Geländer und sogar Mülleimer in Weiß gestaltet werden, gerne mit goldenen Elementen in Form eines achteckigen Sterns, ein islamisches Symbol für das Paradies, dem Aschgabat nacheifern sollte.
Vor Nijasows Amtsantritt war Aschgabat ein wenig ansehnliches Provinzstädtchen, nicht mehr als eine Ansammlung von Chruschtschowkas, jener typischen, meist in den 1960er oder 1970er Jahren errichteten sowjetischen Plattenbauten. Von der jahrhundertealten Altstadt war nach einem Erdbeben 1948 nichts mehr geblieben. Das Epizentrum lag direkt unter der Stadt. Nachts um ein Uhr riss der Boden an etlichen Stellen über einen halben Meter auf, die vielen Lehmbauten stürzten ohne Ausnahme in sich zusammen. Turkmenistans Regierung beziffert die Zahl der Opfer jener Nacht mit 176.000, die Sowjetunion schätzte ihre Zahl auf 110.000. Aschgabat hatte damals knapp 200.000 Einwohner. Fest steht, das Stadtgebiet war rund zwei Jahre Sperrgebiet, bis alle Leichen geborgen und die Trümmer geräumt waren. Dabei hatte sich das Land noch nicht davon erholt, dass gerade Hundertausende im Krieg gegen Deutschland gefallen waren. Ein gigantischer Gedenkkomplex am Rande der Stadt erinnert heute an die beiden Schicksalsschläge für das turkmenische Volk. Im Zentrum stehen die Statuen einer weinenden Mutter und eines Stiers, der eine zersplitternde Erde trägt. Der Tag des Bebens, der 6. Oktober, ist ein arbeitsfreier nationaler Gedenktag.
Die Ertuğrul Gazi Moschee ähnelt der Blauen Moschee in Istanbul.
Auch Nijasow war eines von vielen Waisenkindern jener Tage. Sein Vater fiel im Zweiten Weltkrieg und seine Mutter befand sich unter den Erdbebenopfern. Als Waise erfuhr er besondere Förderung, was ihm Zugang zu Universitäten in Moskau und dem damaligen Leningrad verschaffte sowie später zu einer Karriere in der Kommunistischen Partei der Sowjetunion verhalf. In Kipchak, seinem Geburtsort etwa 10 km westlich von Aschgabat, baute er seinen Eltern später ein Mausoleum – selbstverständlich aus besonders edlem weißem Marmor. Und weil er schon dabei war, stellte er gleich die größte Moschee Zentralasiens daneben. Die Türkmenbaşy Ruhy Moschee bietet 10.000 Gläubigen Platz. Die Mauern und die vier 91 m hohen Minarette bestehen selbstredend aus weißem Marmor. Im Keller gibt es hunderte Toiletten und Waschbecken für das Wudu, die rituelle Waschung des Islams, alles ebenfalls aus weißem Marmor. Darunter folgt eine Tiefgarage mit Platz für rund 400 Autos. Hier genügte dem Turkmenbaschi allerdings Sichtbeton.
Nijasow hatte die Moschee nicht nur nach sich selbst benannt, er hatte das Innere auch statt mit Suren aus dem Koran mit Weisheiten aus der Ruhnama verziert. Das Buch der Seele, so die Übersetzung aus dem Persischen, stammt angeblich aus seiner Feder. Es ist eine Mischung aus teils frei erfundenen nationalen Mythen und ebensolcher Geschichtsschreibung sowie Lebensweisheiten und Verhaltensregeln. Der Lehrplan an turkmenischen Schulen sah Anfang der Nullerjahre ein Viertel der Zeit für die Lektüre der Ruhnama vor. Staatsbedienstete mussten jeden Samstag darin lesen. Selbst für den Führerschein und für Prüfungen der Hochschulen war Wissen über den Inhalt notwendig. Im Jahr 2005 ließ Nijasow sogar ein Exemplar, eingewickelt in die Staatsflagge, ins Weltall schießen. Es sollte für alle Ewigkeit die Erde umkreisen. Allerdings geht das internationale Committee on Space Research davon aus, dass das Flugobjekt mit der Katalognummer 2005-031C im Jahr 2132 in der Erdatmosphäre verglühen wird.

Den Unabhängigkeitspark schmücken Statuen aus Mythologie und Geschichte.
Die Ruhnama-Verse in der Moschee sind auch ein Sinnbild für die Position des Islams in Turkmenistan. Das Wort des Präsidenten wiegt mehr als das des Propheten. Im Gegensatz zu den Nachbarländern hatten radikale islamische Strömungen in Turkmenistan so keine Chance. Tatsächlich ist der sunnitische Islam in Turkmenistan besonders liberal. Die meisten Frauen tragen das Kopftuch, wenn überhaupt, nur als Hitzeschutz. In den Supermärkten gibt es Schweinefleisch, in Clubs Cocktails und in Biergärten Löwenbräu vom Fass. Bei den Feiern in den für je bis zu 1.000 Gästen ausgelegten Sälen des Hochzeitspalastes, dem Bagt Köşgi, wird in respektablen Mengen dem Wodka zugesprochen. Der 2011 fertiggestellte Komplex besteht aus einem Sockel in Form des achteckigen Sterns, der obere Teil aus einem goldenen Globus mit einem Durchmesser von 32 m. Darin befindet sich der luxuriöseste Saal, der sogenannte Baht Pavilion. Außen wird der Globus an jeder Seite von einem weiteren achteckigen Stern geschmückt, die Ehe ein Paradies. Wer das anders sieht, kann im selben Gebäude auch die Scheidung einreichen.
Buswartehäuschen in Aschgabat: klimatisiert und mit Fernseher bestückt.
Die Ruhnama wurde in mehr als 40 Sprachen übersetzt, meist als Gefallen für den Diktator, um Aufträge zu ergattern. So hat Daimler-Chrysler die deutsche Übersetzung des ersten Teils spendiert und Siemens den zweiten herausgeben lassen. Die französische und die türkische Übersetzung ließ jeweils ein Baukonzern springen: Bouygues mit Sitz in Paris und die Çalık Holding aus Istanbul. Franzosen und Türken dominieren die turkmenische Bauwirtschaft. Der Hochzeitspalast beispielsweise wurde durch das türkische Bauunternehmen Polimeks errichtet. Çalık engagierte sich vor allem bei Infrastrukturprojekten wie Kraftwerken. Bouygues hingegen baute viele der anderen Monumentalbauten, darunter die Türkmenbaşy Ruhy Moschee, die ausgefallenen Ministerialbauten im Regierungsviertel sowie Gebäude der Universität. Auch das Yildiz, ein eiförmiges Luxushotel auf einem Hügel im Südwesten von Aschgabat, wurde von den Franzosen errichtet. Es zahlt sich also aus, sich mit dem Führer der Turkmenen gutzustellen. Das galt weiterhin, nachdem Nijasow 2006 zu seinen Eltern ins Marmormausoleum zog, offiziell aufgrund eines natürlichen Herzversagens. Denn obwohl das schwer zu glauben ist, Nijasows Nachfolger Gurbanguli Malikgulijewitsch Berdimuhamedow legte in Sachen Exzentrik und Bauwut noch eine Schippe drauf. Er hält im Land bis heute die Fäden in der Hand, auch wenn er das Präsidentenamt 2022 an seinen Sohn Serdar übergab. Der Junior darf allenfalls repräsentative Aufgaben übernehmen. Selbst stellte sich Berdimuhamedow jüngst an die Spitze des reformierten Parlaments und ließ sich den Titel Nationaler Führer des turkmenischen Volkes verleihen. Er liebt Titel und hat sich über die Jahre eine ganze Sammlung davon zugelegt. Bevorzugt lässt er sich mit Beschützer (turkmenisch: Arkadag) anreden.
Am 25. März 2013 wurde er zudem zum Angesehenen Architekten Turkmenistans erkoren. Das Datum war kein Zufall, denn am selben Tag flog Craig Glenday, der Chefredakteur des Guinness-Buchs der Rekorde, in Aschgabat ein, um dem angesehenen Architekten eine Urkunde zu überreichen. Die erkannte Aschgabat als die Stadt mit den meisten mit weißem Marmor verkleideten Gebäuden der Welt an. „Im Rahmen einer beeindruckenden architektonischen Neugestaltung durch die Regierung Turkmenistans wurden auf einer Fläche von 22 qkm in der Hauptstadt Aschgabat 543 neue Gebäude mit 4.513.584 qm weißem Marmor verkleidet“, ist darin nachzulesen. Dabei gibt es keine Bauvorschrift in Sachen Marmor. Doch mit Vorschriften ist das in Turkmenistan so eine Sache. Viele Gesetze liegen nicht schriftlich vor, sondern beruhen auf mündlich geäußerten Wünschen und Vorlieben des Präsidenten. Die Turkmenen sind sehr beflissen, diese zu realisieren.

Auf dem Land werden Kamele für Feiern geschmückt, in der Stadt die Autos.
Vor acht Jahren ließ Berdimuhamedow beispielsweise den staatlichen Fuhrpark weiß umlackieren und begründete dies damit, dass er helle Farben bevorzuge. Damit waren plötzlich alle dunklen Autos faktisch verboten. Die in Aschgabat allgegenwärtigen Verkehrspolizisten, immer auf der Suche nach etwas zusätzlichem Einkommen, erweiterten auf eigene Faust den Bußgeldkatalog. Zum Knöllchen wegen zu dunklem Lack gab es den kostenlosen Rat, sein Gefährt doch umspritzen zu lassen. Der Zoll riet Fahrzeugimporteuren: „Kaufen Sie Autos in weißer Farbe, die Farbe Weiß bringt viel Glück“, berichtet der aus dem europäischen Exil arbeitende oppositionelle Internetblog chrono-tm.org. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass niemand auf die Idee kommt, in Aschgabat einen Bauantrag für einen Neubau mit lila-blassblauer Putzfassade zu stellen. Man will sein Glück schließlich nicht herausfordern in einem Land, in dessen Gefängnissystem Menschen immer wieder spurlos verschwinden. Eine weitere Vorliebe von Berdimuhamedow sind Weltrekorde und das Guinness-Buch, das mit der irischen Biermarke schon lange nichts mehr zu tun hat, sondern gegen Geld seine Schiedsrichter zur Abnahme von Weltrekorden verschickt. In Berdimuhamedows Turkmenistan waren sie fortan oft zu Gast. Ein eingetragener Rekord ist beispielsweise das größte Riesenrad in einem Gebäude. Es steht im Regierungsviertel und ist Teil des Kultur- und Unterhaltungszentrums Alem, einer Art Spielhalle für Kinder mit Boxautos, Kleinspurbahn und eben einem Riesenrad mit 24 Kabinen und 47,60 m Durchmesser. Der gesamte Komplex ist voll klimatisiert, der Präsident wollte, so erklärt ein Aufpasser dem erstaunten Besucher, dass Kinder auch im Sommer einen Ort vorfinden, an dem sie sich unbeschwert von der Wüstenhitze austoben können.

Für einen Disney-Store ist auch das abgeschottete Turkmenistan offen.
Ein weiterer Weltrekord findet sich auf dem unter Berdimuhamedow für 2,3 Mrd. USD umgestalteten internationalen Flughafen. Das Dach des Terminals, ein Gebäude in Form eines Falkens mit knapp 400 m Schwingenweite, selbstverständlich aus Marmor, ziert das mit 705 qm weltweit größte Gul. So heißen die medaillonartigen Musterelemente der Teppiche aus Zentral- und Westasien. Teppiche und ihre Muster sind ein großes Ding in Turkmenistan. Die Guls der fünf größten Stämme kommen überall in der Architektur Aschgabats vor. Das 2008 fertiggestellte Teppichmuseum mit 5.000 qm Bruttogrundfläche und einem Eingangstor im Stile eines goldenen Teppichs beinhaltet gleich mehrere handgeknüpfte Weltrekorde, darunter das mit 301 qm größte Exemplar. Hier muss auch jeder turkmenische Teppich geprüft werden, der für den streng limitierten Export zugelassen wird. Die Guls sind ebenfalls Teil der Nationalflagge, von der eine lange vom weltweit höchsten freistehenden Flaggenmast wehte, ehe in Saudi-Arabien ein höherer in die Wüste gepflanzt wurde.
Das Bildungsministerium hat die Form eines aufgeschlagenen Buchs.
Unter Berdimuhamedow entstanden in Aschgabat hunderte weitere Gebäude aus weißem Marmor, darunter zahlreiche monumentale Wohngebäude. Die Preise für die Wohnungen beginnen bei rund 60.000 USD, berichtet ein einheimischer Kenner des Immobilienmarkts. Zum Vergleich: Das durchschnittliche Jahreseinkommen liegt bei rund 7.000 USD. Die Regierung gewähre ein zinsloses Darlehen mit 30 Jahren Laufzeit demjenigen, der sich in einen Marmorbau einkaufe. Dennoch könnten sich das die allermeisten Turkmenen nicht leisten, sagt der Experte, der wie alle seine Landsleute seinen Namen keinesfalls in einer ausländischen Publikation lesen möchte. Nur wer in der Gasindustrie arbeite oder in höheren Regierungsdiensten stehe, leiste sich eine Marmorwohnung. Dann allerdinge auch gerne mehrere davon, als Vorsorge für die Kinder und Enkelkinder. Alternative Anlagemöglichkeiten in Manat, der einheimischen Währung, seien rar. So komme es, dass viele Wohnungen noch leer stünden, verkauft seien sie hingegen alle. Die kleine Mittelschicht wohne bevorzugt in den Chruschtschowkas, die es vor der Unabhängigkeit meist als Geschenk der Sowjetunion gegeben hatte. Immerhin, jene Plattenbauten, die an die marmorne Neustadt grenzen, wurden nachträglich mit Marmor verkleidet.
Weitere monumentale Marmorimmobilien entstanden im neuen Klinikviertel. Meist ist ihnen die Fachrichtung bereits anzusehen. Die zentrale Zahnklinik beispielsweise ist einem Backenzahn nachempfunden. Berdimuhamedow, der seine politische Karriere als Leibzahnarzt seines Vorgängers Nijasow begonnen hatte, war persönlich zur Eröffnung gekommen. Das danebenstehende Zentrum für plastische Chirurgie hat die Form eines Handspiegels, die Augenklinik gleicht einem Augapfel und das Gesundheitsministerium selbst ist der Schlange des Äskulapstabs nachempfunden. Trotz allem Prunk: Eine allgemeine Gesundheitsfürsorge gibt es nicht. Ein Arztbesuch ist teuer und viele können sich das nicht leisten. In Aschgabat, wo es sich auch nach westlichen Standards gut leben lässt, kann man schnell vergessen, dass die Mehrheit der Turkmenen das nicht kann. Die meisten kaufen nicht in den hervorragend bestückten Supermärkten und Malls ein, sondern in Läden mit staatlich bezuschussten Lebensmitteln, wo es mitunter zu Angebotsknappheiten kommt.

Das Ästhetikzentrum ist in Form eines Handspiegels entworfen und bietet allerlei kosmetische Dienstleistungen.
Auftragsknappheit für die Bauwirtschaft und Marmorimporteure gibt es dagegen nicht. Bauschilder in der gesamten Stadt lassen erkennen, dass auch künftig ausschließlich auf Fassaden aus weißem Marmor gesetzt wird. Berdimuhamedow belässt es zudem nicht dabei, das Werk seines Vorgängers in Aschgabat fortzusetzen. Im Jahr 2019 begann einige Kilometer westlich der Hauptstadt der Bau einer weiteren pompösen Marmorstadt. Sie trägt den Namen Arkadag, nach dem Lieblingstitel des Diktators. Hier bremste keine Bürgerinitiative den Baufortschritt. Arkadag genießt den Rechtsstatus „Stadt von staatlicher Bedeutung“. Das bringt es mit sich, dass der Bürgermeister vom Präsidenten ernannt wird und die Stadtverwaltung der zentralen staatlichen Verwaltung untersteht. So wurde der erste, 3,3 Mrd. USD teure Bauabschnitt bereits im März 2023 mit Feuerwerk, Pferdeshows und Tanzvorführungen eröffnet. Im Endausbau könnte die Stadt Heimat für rund 70.000 Einwohner sein. Berdimuhamedow hat die verantwortlichen Stadtplaner angewiesen, Arkadag auf jeden Fall so zu gestalten, dass es für einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde reicht. Man darf also gespannt sein. Ein heißer Tipp für Bauunternehmer: Der zweite Bauabschnitt ist mit 1,5 Mrd. USD veranschlagt. Die Ausschreibung war zu Redaktionsschluss noch nicht erfolgt.
Die Nationalbibliothek darf eigentlich nicht fotografiert werden. „Unser Präsident schreibt die besten Bücher“, lautet die Antwort einer Einheimischen auf die Frage nach den besten turkmenischen Schriftstellern. Mehr Literatur brauche es nicht. Viele ihrer Landsleute sehen das offenbar ähnlich. Statistiken über die Veröffentlichung von Büchern in Turkmenistan sind nicht verfügbar, und die Nationalbibliographie ist seit Jahren veraltet. Die mit internationalen Systemen nicht durchsuchbare Bibliothek soll dennoch über eine Sammlung von 5 Mio. Objekten verfügen.
Die Architekten des Garagum Hotels ließen sich von der Karakum-Wüste inspirieren, einer der größten Wüsten der Erde. Das Hotel liegt ganz in der Nähe des internationalen Flughafens Aschgabat und nur 10 km vom Stadtzentrum entfernt. Auf 28.573 qm BGF verteilt auf acht Etagen finden sich 87 Zimmer und 102 Betten sowie ein Einkaufszentrum, ein Restaurant mit 150 Sitzplätzen, Tagungsräume, ein Spa und ein Fitnessstudio. Die Regierung ist stets bemüht, internationale Kongresse nach Aschgabat zu holen, wofür die ansonsten mäßig belegten Luxushotels der Hauptstadt konzipiert sind.

Der internationale Flughafen von Aschgabat „Oguz Han“ wurde 2016 fertiggestellt und ist wie vieles in der Hauptstadt etwas überdimensioniert. Mit einem Budget von 2,3 Mrd. USD errichtete das türkische Bauunternehmen Polimeks das Terminalgebäude in der Form eines Falkens. Der Flughafen kann bis zu 1.600 Passagiere pro Stunde oder rund 14 Mio. Passagiere sowie 200.000 t Fracht pro Jahr abfertigen. Die 3.800 m lange Landebahn ist 60 m breit und speziell für den Betrieb von Großraumflugzeugen wie dem Airbus A380 und der Boeing 747-8 ausgelegt, die den Flughafen aber nicht anfliegen.

▲ Die Hochzeitskarawane ist Teil jeder turkmenischen Hochzeitszeremonie. Dabei wird die Braut zur Familie des Bräutigams überführt. Die Braut trägt traditionell ein rotes Kleid aus Keteni, ein besonders farbenfrohes Seidengewebe, dazu einen schweren Umhang mit Teppichelementen und einen ebenso schweren Schleier mit Fasern aus Kamelhaar. Alles ist bestickt mit silbernen oder vergoldeten Amuletten, die vor Unheil aller Art beschützen sollen. Auch die Hochzeitsgäste und der Bräutigam hüllen sich in feines Tuch. Nicht fehlen darf der Papcha, die im Kaukasus und Zentralasien traditionelle Wollmütze.
▼ Das Unabhängigkeitsdenkmal steht im Herzen des Unabhängigkeitsparks, einer der größten Grünanlagen von Aschgabat. Errichtet im Jahr 2000 von der türkischen Firma Polimeks, ist es umgeben von Statuen von Persönlichkeiten aus der turkmenischen Geschichte und Mythologie. Die Maße des Monuments verweisen auf das Unabhängigkeitsdatum Turkmenistans, den 27. Oktober 1991, beispielsweise ist die zentrale goldverzierte Säule exakt 91 m hoch. Der Sockelbau erinnert an eine traditionelle Jurte und beinhaltet u.a. ein Museum, das die Geschichte und Unabhängigkeit Turkmenistans zelebriert.


▲ Alem, das Universum, ist ein Kultur- und Unterhaltungszentrum im Regierungsviertel. Der kreisrunde Aufbau mit stilisierter Sonne und Strahlen beinhaltet das größte Indoor-Riesenrad der Welt. Das 2012 errichtete Rad ist 75,3 m hoch bei einem Durchmesser von 47,6 m. In seinen 24 geschlossenen Kabinen mit acht Sitzplätzen bietet es Platz für insgesamt 192 Passagiere. Rund 90 Mio. USD hat die Entwicklung durch das italienische Unternehmen SDA Engineering gekostet, besondere Herausforderungen waren der enorme Winddruck auf die Glasfassaden und die Erdbebensicherheit des 150 t schweren Fahrgeschäfts. Auf sechs Etagen des Gesamtkomplexes finden sich zudem eine Bowlinghalle, ein Bankettsaal, ein Kino, Restaurants und eine Spielhalle für Kinder mit etwas in die Jahre gekommenen Spielautomaten, Boxautos und Schmalspurbahn. Wer es sich leisten kann, bringt seine Kinder besonders an den heißen Sommerwochenenden in das vollständig klimatisierte Alem Center.
▼ Der Neutralitätsbogen ist von Saparmurat Nijasow beauftragt worden. Eine der wenigen positiven Charakteristiken der turkmenischen Diktatoren ist, dass sie im Gegensatz zu vielen ihrer internationalen Berufsgenossen keinerlei kriegerische Ambitionen hegen. Das zentrale Leitbild der Außenpolitik von Nijasow war die permanente Neutralität, welche die Vereinten Nationen am 12. Dezember 1995 auch anerkannten. Der Tag wurde zum nationalen Feiertag erklärt und es wurde ein 95 m hoher Neutralitätsbogen errichtet, mit einer goldenen Statue von Nijasow an der Spitze. Während die Neutralität bis heute Staatsräson ist, ließ sein Nachfolger Gurbanguly Berdimuhamedow das Monument später an den Stadtrand, schon fast in die Wüste, versetzen. Den achtspurigen Boulevard zu dem Bauwerk befährt kaum jemand. Am Fuße halten dennoch rund um die Uhr zwei Soldaten Ehrenwache.


▲ Das Gesundheitsministerium ist einer Schlange nachempfunden, die sich um den Äskulapstab windet. Vorbild war die Cobra, die in Turkmenistan gerne in Steinhaufen und alten Mauern lebt. Die sonst mit Kritik zurückhaltenden Turkmenen sind mit den dort erbrachten Leistungen nicht zufrieden. Auch Ärzte ohne Grenzen urteilt, dass die Bevölkerung von ihrem Gesundheitssystem, ihrer Regierung und der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen werde. Das System, das eigentlich die Gesundheit der Bevölkerung sicherstellen soll, sei vielmehr darauf ausgerichtet, bestehende Probleme zu verschleiern. Ansteckende Krankheiten wie Tuberkulose, Aids und sexuell übertragbare Infektionen seien im Land zweifellos weiter verbreitet, als es offizielle Zahlen nahelegen. Präsident Berdimuhamedow setzt ohnehin auf Naturheilkunde. Gegen Corona empfahl der studierte Mediziner Steppenraute, ein sedierend bis narkotisch wirkendes Kraut.

▲ Das eiförmige Hotel Yyldyz wurde 2013 auf persönliche Anregung von Präsident Berdimuhamedow durch das französische Bauunternehmen Bouygues errichtet. Zu deutsch bedeutet der Name Stern. Das opulente Luxushotel trifft auch den Geschmack westlicher Besucher, wie 4,5 Sterne bei Tripadvisor beweisen. Nur das Frühstück wird von vielen als etwas phantasielos bemängelt, was durchaus landestypisch ist. Mit einer beeindruckenden Höhe von 107 m und 19 Stockwerken thront das Yyldyz auf einem Ausläufer des Kopet-Dag-Gebirges, was einen einzigartigen Panoramablick über Aschgabat ermöglicht. Nicht nur das Hotel selbst, sondern auch die Infrastruktur herum wurde sorgfältig geplant. Eine völlig überdimensionierte eigens errichtete Schnellstraße ermöglicht eine staufreie Anfahrt. An dem breiten Kreisverkehr wurden selbst die Straßenlaternen und Abfalleimer an das Design des Hotels angepasst. Die 155 Zimmer, von Standardzimmern bis hin zur opulenten Präsidentensuite, sind im typischen sowjet-orientalischen Neobarock gehalten. Es gibt Pools, Fitness, Konferenzsäle für bis zu 600 Teilnehmer, ein Hotelrestaurant und eine Bar in den obersten Etagen.
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